leben
Du fragst, was ist … ?
Pösie für Lieb & Bösi, schreibchenweiseLeben ist das, was brennt, faucht, lacht.
Leben ist zum Leben gemacht.
Leben ist reden. Leben ist Stille.
Leben ist lassen. Leben ist Wille.
Leben ist mal unten, mal ganz oben.
Leben ist stillstehen. Leben ist toben.
Leben ist ankommen und wieder gehen.
Leben ist Augen zu. Leben ist sehen.
Leben ist Blut. Leben ist Pflaster.
Leben ist Regel. Leben ist Laster.
Leben ist, was du daraus machst.
Leben ist schlafen. Und Leben ist besonders dann, wenn du erwachst.
Glück gehabt
schreibchenweiseWeil alle grad davon reden…
Irgendwann wird alles gut. Das jedenfalls sagte die Nachrichtensprecherin, kurz bevor sie sich mit einem Lächeln auf den Lippen vor laufender Kamera in den Kopf schoss. Einen Moment lang herrschte Stille – im Studio und vor den 40 Millionen Bildschirmen.
Definiere Moment.
Auf der anderen Seite der Welt, irgendwo in einer dunklen Vorratskammer, kippte ein Sack Reis um und begrub eine Ratte. Sie war so fett gefressen, dass sie sich keinen Millimeter bewegen konnte. Und während sie bauchig und träge von einem Nachschlag träumte, flog der pralle Getreidebeutel aus luftiger Höhe auf das ahnungslose Tier hernieder. Keine Chance auf Überleben. Ratten sind eben keine Katzen. Katzen haben neun Leben. Ratten haben nackte Schwänze – darum mag sie keiner. Auch nackte Männer haben nackte Schwänze.
Definiere nackt.
Als der Leichenwagen die Nachrichtensprecherin abtransportierte, der Kameramann aus seiner dreisekündigen Schreckstarre erwachte und endlich das Blut von der Linse wischte, kehrte Normalität in den Studioalltag zurück. Aus der Maske wurde eine neue, eine noch hübschere Sprecherin geholt, wie gewohnt platziert, kurz ausgeleuchtet und ein letztes Mal frisiert und instruiert. Bitte keine Schusswaffen im Studio und bitte keine Suizide während des laufenden Betriebs. Auch, wenn die Einschaltquoten jedes Mal in die Höhe schossen (welch Wortspiel in diesem Zusammenhang!), das Senderimage vertrüge nicht mehr viele solcher Szenen. Außerdem herrschte mittlerweile ein Mangel an qualifizierten Nachrichtensprecherinnen. Sie nickte.
In der Kantine gab es Butterreis.
Hinter einer durchsichtigen Gardine räkelte sich ein nackter Mitvierziger adonisgleich in einem Bett, das Platz für fünf bot. Er war allein. Er lächelte. Er stand auf, kratzte sich am Sack, ging zum Fenster, nahm einen tiefen Atemzug und sprang. Genau in diesem Moment brach ein Sonnenstrahl durch die Wolkendecke. Man hätte ein inbrünstiges Halleluja schmettern mögen, so wunderbar war das. Die Macher der Wettervorhersage hatten nicht gelogen, ein schöner Tag stand bevor.
Definiere schön.
Wäre er doch nur eine Katze gewesen… Neun Leben. Und Katzen werden gemocht, anders als Ratten. Wahrscheinlich, weil sie im Verhältnis zum Kopf relativ große Augen haben. Kindchenschema. Man möchte sie beschützen, knuddeln und einfach nur liebhaben. Neulich lief ein herzzerreißender Beitrag im örtlichen Teefau. Ein Katzenbaby hatte sich auf einem Baum verirrt. Die örtliche Feuerwehr rückte an, ein Kamerateam des örtlichen Teefau-Senders, der Bürgermeister mit seiner örtlichen Frau. Sie bangte und weinte. Erst das erleichterte Klatschen umstehender Passanten trocknete ihre Tränen, als ein junger Held nach Minuten der Angst das flauschige Ding schützend in die Arme nahm und sicher aus dem Geäst befreite.
Als die Kantine schloss, war vom Butterreis noch jede Menge über.
In der Müllverbrennungsanlage herrscht Hochbetrieb. Alles, was brennbar ist, brennt. Es stinkt ein wenig. Nicht so sehr, wie in den Slums ferner Länder, aber genug, um zu belästigen. Darum wohnen manche Menschen nicht gerne in der Nähe einer solchen Anlage. Das ist nachvollziehbar. Der Geruchssinn des Menschen ist zwar lange nicht so ausgeprägt und fein wie der eines Hundes, aber dennoch empfindlich genug, edlen Duft von penetrantem Gestank zu unterscheiden. Gase, die bei der Müllverbrennung austreten, sind zwar oft giftig, aber nicht Krebs erregend.
Glück gehabt. Irgendwann wird alles gut.
Mit Elefanten jonglieren
schreibchenweiseDie Arroganz des Menschen, zu glauben, er könnte einfach alles und ein jedes beherrschen, wird ihm irgendwann mit einem großen Knall auf den Kopf fallen.
Wenn es einfach wäre, das Leben, dann könnte es ja jeder. Aber manchmal ist es, als würde man mit Elefanten jonglieren. So ein Elefant liegt nicht besonders gut in der Hand. Da kann man schon mal das Gleichgewicht verlieren, ins Straucheln kommen, zu Boden gehen, aussterben.
Da lag sie nun, diese traurige, nackte Gestalt, begraben unter einem grauen Berg aus Haut und Falten. Einer der mächtigen Stoßzähne durchbohrte ihre Lenden, hatte den ausgemergelten Hintern buchstäblich in den Boden gerammt. Sie war die letzte ihrer Art – Homo sapiens. Nicht besonders schön, wenig schmackhaft und irgendwie zu nichts zu gebrauchen. Die fünf Tonnen Lebendgewicht erhoben sich schwerfällig, schüttelten sich und starrten etwas betreten auf das Häufchen am Boden.
„Es hat sich ausjongliert.“ Das Quagga nickte zufrieden, wedelte kurz mit dem Schwanz, verabschiedete sich höflich vom Elefanten und trabte davon.
Januar, Februar, März… und dann kam August
schreibchenweiseEin Jahr ist lang. Zwölf Monate, vier Jahreszeiten. Und nur ein Leben.
Ich fickte Suse, das war im Januar. Vier Wochen Wollust, Schweiß und Bier. Dann hatte ich die Nase voll und Suse dicke Tränensäcke. Im Februar traf ich auf Nina. Die hatte schöne Beine, schlank und ohne Adern. Meine Augen mochten sie, meine Kumpels auch. Zu sehr. Nina war eine Bitch. Eine Bitch mit Damenbeinen, die sich bereitwillig für jeden öffneten. Ich teile so ungern. Im März blühte Sarah neben mir auf. Knospen wie Röschen. Liebliches Möschen. Doch im Kopf, da fuhr sie noch Dreirad. Als Sugardaddy war ich zu jung, als Bruder zu heiß auf ihre Schamhaftigkeit. Mit der war es schnell vorbei. Und eine Jungfrau ohne das Jung verliert an Reiz. So kam der April, der war recht wechselhaft. Namen zogen wie Wolken vorbei, und hängen blieb nur ein Ausschlag am Sack. Als es Mai wurde, überkam mich die Langeweile, eine gewisse Sätte und Müdigkeit machte sich breit. Das hielt nicht lange an, denn der Juni wurde heiß. Natalie versüßte meine Sommernächte. Und die Tage. Und die Nächte. Und auch die Mittagspausen. Ihr Mund war Sünde, ihr Hintern leider nicht. Der war nur schlaff, obwohl sie so oft in die Hocke ging. Jane Fonda behauptete immer, davon gäbe es irgendwann einen Knackarsch. Wann war irgendwann? Im Juli hatte ich folglicherweise Sehnsucht nach prallen Arschbacken und klugen Gesprächen. Doch ich bekam Stille. Mein Telefon wurde abgeschaltet. Irgendwer hatte vergessen, die Rechnungen zu begleichen. Ich fühlte mich nackt. Und einsam.
Und dann kam August. Er war mein Stern im Sommerloch. Seine Augen waren Meere. Sein Haar war Rabenfedern gleich. Er hatte so schöne Hände, dass mir schlecht wurde vor Entzücken. Und flink waren die. Sein Mund war potenzierte Natalie. Und erst sein Hinterteil, es brachte mich zum Weinen. Backen wie mit Samt überzogen, zum ficken geboren. Die lagen fantastisch in meinen Händen und ließen sich so zart spreizen, dass ich bei jedem Stoß meine sexuelle Verwirrung vergaß. Diese überrollte mich erst Monate später, zog mich in den Abgrund. Mein Stern erlosch. Mein Sommerloch brannte und mein Telefon schweigt noch immer. Draußen wird es jetzt wieder kälter. Willst’e Fi(lmgu)cken?
An meinem Fenster
schreibchenweiseDu sollst nicht über Gullies geh’n, du sollst nicht in den Abgrund seh’n. Und wenn, dann nimm den Falco mit.
Regen peitscht bösartig die Straße, drischt wie eine kätzische Domina auf den Asphalt. Die Tropfen am Ende jeder Nasspeitsche zerplatzen. Und sterben. Unter der Straße zerrt ein Rauschen am Gehör. Die Unterwelt ist schwarzer Fluss. Ratten suchen nach einer rettenden Arche, Plastik verwirbelt sich ziellos in gurgelnden Strudeln. Staub ertrinkt. Oben weint die Nacht. Himmel und Horizont kopulieren während in den Häusern das Schweigen brüllt. Kaum ein Licht, keinerlei Herzschlag, Lebendigkeit „träuft mit Mozambin“ dahin und beginnt zu stinken.
Nur bei ihm ist Licht. Er blickt aus hohlen Augen, die in einem schönen Kopf stecken. Noch. Makellose Körper verkaufen sich besser. Für Intelligenz bezahlt kaum einer, wenn der Schwanz zu klein ist. Und es plaudert sich so schwer mit vollem Mund. Dieser ist so schön, so voll, so zartlippig, mit einem Zungenspiel, das bekannt, begehrt, berüchtigt fast. Ungedruckte Flugblätter zitieren seinen Namen von Ohr zu Ohr. Männer und Frauen verlangen nach ihm, auch weil er – oben wie unten, von hinten wie von vorne – eine Zier ist. Eine Gier ist. Weil er willig ist. Weil er billig ist. Noch.
Ich beobachte ihn und ihn und sie und ihn, sie alle, wie sie sich reiben, lutschen und winden, wie Zähne sich in Fleisch bohren, wie Brüste an Schwänzen ziehen, Zungen sich in welke Blüten schieben, wie alte Lenden auf pralle Ärsche klatschen. Ein Geräusch, genau wie das der Regenpeitschen. Draußen. Auf der Straße. An meinem Fenster. Ich wünsche mir die Nacht endlos. Ich bin in Raum und Zeit gefangen.
Die Gosse schläft nicht. Sie hält nur manchmal still, einen Moment lang, einen Zeigerschlag vielleicht, mehr nicht. Keine Zeit für Zeugen. Im Boden klafft jetzt ein Loch, das den Urin der Regenstraße schluckt, sich ergießt wie „die Donau außer Rand und Band“. Auf ihr schwimmt ein Schuh, stürzt sich hinab, wird Ratte mit zwei Senkelschwänzen. Der Gullydeckel gilt als vermisst, der Jüngling nicht. „Der hat sich verpisst!“ – schreit’s durch die Nacht. Ich schweige.
Mein Fenster bleibt leer, starre nur auf Wachs. Himmel und Horizont verlieren sich aus den Augen. Müde. Unter der Stadt liegt der Tod. Sein Mund war so schön, so voll, so zartlippig. Jetzt fehlt ihm ein Schuh.
Welchen Wert hat ein Leben?
Pösie für Lieb & BösiWelchen Wert hat ein Leben?
Was kostet ein Tod?
Wie schmeckt Rache?
Und warum ist Blut so tiefrot?
Leben ist Bewegung.
Tod narrt – versickert im Sand.
Rache schlägt tiefe Wunden.
Und Blut klebt an der Hand.
Das Leben ist kein Wolkenschloss
Pösie für Lieb & BösiDa liegt es nun, ganz krumm
die zarte Stimme – stumm
Schnabel ab, Federn raus
der ganze Anblick: Graus
Armes Ding
am Fuß ein Ring
das Blut im Straßengraben
das Herz gefressen – Raben
Fliegend wolltest leben
über Wolken schweben
jetzt klebst’e auf Asphalt
so ist das Leben halt
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