Die Suche des Herrn Kudo

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Schöner wohnen kann jeder. Mann muss es auch wollen.

Herr Kudo war unruhig, seit zweieinhalb Jahren nun schon. Sein Zimmer lag leer zwischen den Wänden. Etwas fehlte dort, etwas, das Wohnlichkeit verströmte, etwas, das auf ihn wartete, wenn er des Abends heim kam, etwas, auf das er wahlweise seinen jungen doch schon recht verkniffenen Arsch oder sein müdes, schwarz-vergeltes Haupt betten konnte. Oder auch beides. Ihm fehlte ein Sofa.

Das alte war längst abgenutzt. Es hatte lange schon an Glanz verloren. Das Leder klaffte eingerissen, ein marodes Bein musste durch mehrere Bücher ersetzt werden, Bücher, die Herr Kudo gerne als Requisit in seinem Regal gelassen hätte, stärkten sie doch seine intellektuelle Präsenz gegenüber eventuell vorbeischauender Gäste. Es roch – das Sofa, die intellektuelle Masche dagegen, stank ein wenig mehr noch. Das ist eine andere Geschichte.

Patina hat so ihren Reiz, doch in seiner Verlebtheit wirkte das alte Sofa nicht einladend genug, als dass man sich in dessen vertrockneter Haut hätte wohlig vergraben wollen. Eine bunte Decke konnte das verblasste Antlitz des Möbels zwar flüchtig verstecken, doch darunter lauerte Schwund. Eines Tages setzte Herr Kudo das ausgediente Möbel einfach vor die Tür, mitsamt des bunten Fummels. Allein drei zarte Stühle blieben ihm zum Halt. Nun wollte er – nun brauchte er – ein neues Sofa. Und so begann die verzweifelte Suche des Herrn Kudo.

Doch wie nur wie müsste dieses neue Möbelstück geschaffen sein? Es gab derer so viele und alle schienen das gleiche Versprechen zu geben – Geborgenheit. Manche waren verschwenderisch gepolstert, andere elegant und feinbeinig. An einigen sah er viele Verzierungen ohne jeglichen Nutzwert zwar, allein, sie waren hübsch anzuschauen. Manche überzog ein samtenes Weich, andere wirkten weniger pussierlich possierlich, machten aber durchaus einen robusten und praktischen Eindruck, Eigenschaften, die nicht zu unterschätzen waren. Dann gab es diese billigen, mit Plastik überzogenen und in unmögliche Farben getauchten, die sich grell ins Hirn stürzten und dabei das Augenlicht zertraten. Beim Sitzen quietschten sie, das lärmte unschön hochfrequent. Auch gab es solche, die still in einer Ecke standen, kaum wahrnehmbar in ihrer Unterwürfigkeit. Womöglich hätte ein zweites Probesitzen die inneren Werte erst zum Vorschein gebracht, eine versteckte Schublade vielleicht oder ein verträumtes Detail. Dies zu entdecken, dazu kam es oft gar nicht, vergeudete es doch Herrn Kudos kostbare Zeit. So manche Sitzgelegenheit schien auf den ersten Blick wie maßgeschneidert für diesen einen Arsch. Und dann gab es wieder andere, die waren gar für mehrere Sitzpartner offen. Mehrsitzer. Reihensofas. Das konnte man mögen, musste es aber nicht. Herr Kudo wollte sich hier noch nicht festlegen. Ach.

Außerhalb des nackten Zimmers erstreckte sich eine paradiesisch verkleidete Welt voller Sitzmöbel. Was tat Herr Kudo nicht alles, um unter ihnen dieses eine, das seinige, zu finden, das Sofa, das am besten zu ihm passte, das ihn allabendlich auffing, ihm die verschlummerten Sonntagnachmittage versüßte, ihm die Angst vor der Nacktheit seiner Wände und den Inhalten seiner Bücher nahm, eines, das ihm stundenlang zuhören könnte, wenn er aus seinen ordentlich sortierten Schlauheiten rezitierte? Tage durchstreifte er die Stadt, saß mal hier und lag mal dort zur Probe, bettete Haupt und Hintern bald in diese, bald in jene Richtung, liebäugelte mit dem einen Möbel, dann wieder mit dem anderen, ließ sich ein und dasselbe Modell in unterschiedlicher Couleur vorführen, vergrub seine Gliedmaßen mal tief in sündigem Rot, dann wieder strich er feinhändig über distinguiertes Grau. Und allmählich schien ihm die Suche köstlicher als das Finden. Die Vorfreude, wenn in jenem berauschenden Moment der schützende Überwurf von einem unbeschmutzten Sofa glitt und die ganze Schönheit eines zarten Kanapees freigab, sich der betörende Duft frischen Leders eines exzentrischen Diwans in die Lenden schlich oder das prudrige Pastell einer grazilen Couch verhuschte Sommernächte versprach. Ach.

Herr Kudo war im Rausch. Doch jedes Mal, wenn er in sein Heim trat, überfiel ihn diese beifallslose Einsamkeit. Die sinnlichen Stunden seiner Suche am Tage zerbröselten zur staubigen Farblosigkeit in der Nacht. Es kam, was kommen musste. Die einsamen Nächte des Herrn Kudo verloren an Stunden, sie wurden dünn. Die suchtenden Tage hingegen, wusste er zu dehnen, sie streckten ihre Finger nach ihm aus. Klammerten. Glücklich war er dennoch weder bei Licht noch in der Dunkelheit und eine schleichende Entropie nahm Besitz von ihm. Die Zeit verlor sich im Raum und Herr Kudo verlor sich auf seiner Suche…

An meinem Fenster

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Du sollst nicht über Gullies geh’n, du sollst nicht in den Abgrund seh’n. Und wenn, dann nimm den Falco mit.

Regen peitscht bösartig die Straße, drischt wie eine kätzische Domina auf den Asphalt. Die Tropfen am Ende jeder Nasspeitsche zerplatzen. Und sterben. Unter der Straße zerrt ein Rauschen am Gehör. Die Unterwelt ist schwarzer Fluss. Ratten suchen nach einer rettenden Arche, Plastik verwirbelt sich ziellos in gurgelnden Strudeln. Staub ertrinkt. Oben weint die Nacht. Himmel und Horizont kopulieren während in den Häusern das Schweigen brüllt. Kaum ein Licht, keinerlei Herzschlag, Lebendigkeit „träuft mit Mozambin“  dahin und beginnt zu stinken.

Nur bei ihm ist Licht. Er blickt aus hohlen Augen, die in einem schönen Kopf stecken. Noch. Makellose Körper verkaufen sich besser. Für Intelligenz bezahlt kaum einer, wenn der Schwanz zu klein ist. Und es plaudert sich so schwer mit vollem Mund. Dieser ist so schön, so voll, so zartlippig, mit einem Zungenspiel, das bekannt, begehrt, berüchtigt fast. Ungedruckte Flugblätter zitieren seinen Namen von Ohr zu Ohr. Männer und Frauen verlangen nach ihm, auch weil er – oben wie unten, von hinten wie von vorne – eine Zier ist. Eine Gier ist. Weil er willig ist. Weil er billig ist. Noch.

Ich beobachte ihn und ihn und sie und ihn, sie alle, wie sie sich reiben, lutschen und winden, wie Zähne sich in Fleisch bohren, wie Brüste an Schwänzen ziehen, Zungen sich in welke Blüten schieben, wie alte Lenden auf pralle Ärsche klatschen. Ein Geräusch, genau wie das der Regenpeitschen. Draußen. Auf der Straße. An meinem Fenster. Ich wünsche mir die Nacht endlos. Ich bin in Raum und Zeit gefangen.

Die Gosse schläft nicht. Sie hält nur manchmal still, einen Moment lang, einen Zeigerschlag vielleicht, mehr nicht. Keine Zeit für Zeugen. Im Boden klafft jetzt ein Loch, das den Urin der Regenstraße schluckt, sich ergießt wie „die Donau außer Rand und Band“. Auf ihr schwimmt ein Schuh, stürzt sich hinab, wird Ratte mit zwei Senkelschwänzen. Der Gullydeckel gilt als vermisst, der Jüngling nicht. „Der hat sich verpisst!“ – schreit’s durch die Nacht. Ich schweige.

Mein Fenster bleibt leer, starre nur auf Wachs. Himmel und Horizont verlieren sich aus den Augen. Müde. Unter der Stadt liegt der Tod. Sein Mund war so schön, so voll, so zartlippig. Jetzt fehlt ihm ein Schuh.

Beton ist wärmer als Champagner

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Die Friedrichstrasse wird gereinigt, das ist gut, dann verschwindet der Dreck.

Links neben ihm erbricht sich Starbucks. Der alte Mann kauert. Außen derb, tief und dreckig und in seinem Innersten an Herz verblutend. Er trinkt. Er stinkt. Er hustet. Offen klafft die Brust, verschlossen beißt der Mund auf zahnlosen Gedanken herum. Im alten Bart sterben Erinnerungen an Milch und Honig. Vergilbte Floskeln warten in seinen Händen darauf, Verstand zu erblicken, Verständnis zu ernten. Die Pappe ist gebrochen, die Worte darauf verlieren an Gehalt. Aber sie drücken im Kopf.

Nichts von all dem dringt in den Blick derer, die an ihm vorbeitelefonieren. Die Großstadt ist ein Canyon. Im Hinterhalt lauern durchgeladene Läufe, zwischen den Füßen winden sich Reptilien. Sie schuppen. Alte Häute und neue Hüte füllen Nischen, die niemanden ernähren – nicht den kranken Mann an der Mauer. Rechts von ihm ist es bunt, sortiert und sauber. Nicht für ihn.

Seine Augen wollen erzählen, sie brüllen mich an, ganz leise, nicht wütend, nicht fordernd, nur verflüssigt. Ich blicke in zwei endliche Tunnel der Vergangenheit, weil Zukunft hier nicht wohnt. Ihm gegenüber glänzen Chrom und rascheln Scheine. Zu weit weg. Fünf Schritte bis zum Abgrund, da ist Beton wärmer als Champagner. Die Wand in seinem Rücken bricht ihm das Genick und die Strasse unter seinen Füßen wird morgen früh gereinigt. Das ist gut, dann verschwindet der Dreck. Dann ist auch er verschwunden und mit ihm mein schlechtes Gewissen, das mich jedes Mal ertränkt, wenn ich ihm nichts weiter als ein Stück dreckiges Metall und einen Kaffee in die zittrigen Finger legen kann.