Reelle Realität

schreibchenweise

Dieser Text ist weder spannend noch ironisch noch metaphorisch, hat weder Dramaturgie noch Showdown. Er ist einfach nur das, was er ist – reelle Realität.

Ich weiß, es muss verrückt klingen, aber es stimmt. Ich wurde entführt, von Außerirdischen. Soll heißen, von Nichthumanoiden organischen Ursprungs, von lebendigen Zellhaufen mit Gliedmaßen und einem Kopf ausgestattet, fast wie wir, die aber über eine augenscheinlich andere Physiognomie als unsereins verfügen und darum nicht vom Planeten Erde stammen konnten. Auch waren es weder extrem hässliche noch verkleidete Humanoide, was zunächst nahe lag. Und ich dachte noch, ich träume sciencefictional. Dem wahr war aber nicht so.

Es trug sich folgendes zu: Ich kam aus dem Büro, den Kopf noch in der Arbeit, die Füße bereits im Edeka, weil, die lieben Lebensmittel und ich auch. Auf meiner kauffördernden und aktivierenden Erinnerungshilfe (analoge Einkaufsliste) stand all das, was das Leben lebenswert und behaglich machte und momentan in meinem Haushalt fehlte, was für obenrum, was für untenrum, was für zum Essen, was für zum Trinken, was für vorher und was für nachher. Und in dickeren Lettern, weil von immenser Wichtigkeit für mich, stand dort das Wort Kaffee. So ging ich als erstes und geradewegs Richtung Regal mit kaffeeaffinem Sortiment. Auf dem Weg dorthin wurde ich in meiner Zügigkeit durch einen Stau ausgebremst. Ich stellte mich widerwillig in die sich bildende Schlange, trippelte ungeduldig auf Zehenspitzen herum, um besser über die Köpfe der vor mir Stehenden blicken zu können, und beobachtete das Handgemenge an der Kasse, das begleitet wurde von einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen einem Herrn in Edeka-Tracht und einem definitiv nicht von dieser Erde stammenden Uforianer. Letzterer fuchtelte wild mit einem seiner fünf Arme in der Luft herum und nuschelte irgendetwas vor sich hin. Ich verstand kein Wort und fragte eine ältere, kleine Dame, die vor mir und damit näher am Geschehen stand, ob sie denn verstünde, worum es ginge.

„Waaaaaas?“, schrie sie mich an und legte dabei ihre Hand ans Ohr, „Was haben sie gesagt?“

Das beantwortet meine Frage zwar nicht so, wie ich erhoffte, aber dennoch deutlich. Ich nickte höflich und drängelte mich weniger höflich näher an den Tatort. Die Neugier ist ein unaufhaltsamer Motor, der den an sich trägen Menschen vorantreibt. Sie ist stärker als Angst und giert wie kaum ein anderes Verlangen nach Befriedigung. So stand ich drei Ellenbogenstöße und einige jugendfreie Flüche später direkt neben dem Edeka-Mitarbeiter mit freiem Blick auf den rüpelhaften Fünfarmling. Das Nuscheln entpuppte sich aus dieser Entfernung als eine Mischung aus nasalen Zischlauten, deutlich erkennbaren Elementen der deutschen Sprache, und ich vernahm zudem Fragmente aus dem Petuh.

„Wie kann in sitten bei ausses Licht und zue Rollon und näh’n abbe Köbbe an?“, gurgelte das Wesen. „Dascha ’n Maars un kriegn ’n gutte Platz in’n Unibus. So’n Aggewars!“ Ein schlauer Bursche, er wusste, wie man Google benutzt.

Dass der Fremdling mehr oder weniger der hiesigen Sprache mächtig war, schien den sich stoisch wiederholenden Supermarktangestellten, der mit ausdrucksloser Mimik seine Aussage wieder und wieder und wieder von sich gab, in der Absicht, den Außerirdischen zu beruhigen, nicht wesentlich zu irritieren. Es täte ihm leid, er könne da leider nicht helfen. Sich lautstark aufzuregen würde an dieser Tatsache auch nichts ändern und sich darauf zu berufen, nicht von diesem Planeten zu stammen und es darum nicht besser zu wissen, würde ein derart unflätiges Benehmen auch nicht entschuldigen.

Der Außerirdische wirkte sehr traurig in seiner wild fuchtelnden und nuschelnden Verzweiflung, und ich ertrank fast in Empathie. Seine körperliche Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber schien bereits ein erstes Opfer gefordert zu haben, denn auf dem Boden lag ein Art Finger, und aus der Hand des dritten Arms linksseits tropfte eine neongelbe Flüssigkeit. Sie roch ein wenig streng und weckte darum mein olfaktorisch motiviertes Interesse. Ich bückte mich, rutschte von allen Umstehenden unbemerkt auf den Knien zwischen atmungsaktiven Geox-Schuhen, wild gemusterten Socken-Sandalen-Kombinationen, billigen Kunstlederpumps und schuppigen Gliedmaßen näher zur stinkenden Pfütze, starrte fasziniert hinein und…

… wachte in einer grell erleuchteten Räumlichkeit wieder auf. An den organisch wirkenden Wänden stand und hing viel Nichts. Es roch nach Nichts und ich hörte ein leises Nichts. Meine Augen mussten einen Moment lang hart arbeiten um sich an die unbekannte Sehtemperatur zu gewöhnen. Mein Hintern schlief tief und fest und mein Mund war Wüste.

„Entschuldigung, könnte ich bitte einen Kaffee bekommen?“

Das war das Erste, was mir in den Sinn kam, und ohne es zu wollen, hatte ich es ausgesprochen. Zunächst flüsterte ich mein Verlangen recht zögerlich, dann mit deutlichem Nachdruck in den unwirtlichen Raum. Meine Hände begannen zu zittern, ein Kalter Truthahn lief durchs Zimmer. Ein Wild Turkey wäre mir deutlich lieber gewesen, am besten in einem heißen Kaffee. Doch meine ernst gemeinte Bitte stieß auf kein Ohr. Dachte ich zumindest, wusste ich es bis dato nicht besser. Dass Wände wirklich und nicht nur sprichwörtliche Ohren haben können, sollte mir noch bewusst werden.

Gefühlte sieben Tageseinheiten später hatte ich das dringende Bedürfnis, mich zu entleeren. Eigentlich hätte ich kein Problem damit gehabt, mich in einem Nichtraum ohne sichtbare Türen, Fenster oder sonstige Öffnungen mit Beobachtungspotenzial hinzuhucken, das Höschen zu lupfen und der Blase freien Lauf zu lassen, aber irgend etwas in mir sagte, lass es sein. Es war wie ein flauschiges Flüstern, das zwischen meinen Ohren hin und her hüpfte, während der Druck meiner Blase anstieg und lautstark schrie: Lass es raus! Lass es sein, lass es raus, lass es sein, lass es raus, lass es sein, lass es braus… braus… Maus… raus… Quril.

„Entschuldigung, könnte ich bitte eine Toilette benutzen und dann einen Kaffee bekommen?“

Ich dachte, ein erneut höflicher Versuch, mich in meiner Bedürftigkeit mitzuteilen, konnte nicht schaden. Wenig später und noch immer ungehört pfützte ich in das Nichts, von Peinlichkeit gezeichnet. Allein der Kalte Truthahn gab mir ein wenig Halt, während sich der Raum zu drehen begann. Mir wurde übel. Schon als kleines Kind konnte ich alles ertragen, nur nichts Drehendes. Schaukeln, Karussells, schnelle Tanzwirbelungen um die eigene Achse, zu viel Alkohol – nichts für mich. Und spucken im Kreis wurde auch von umstehenden Schaulustigen niemals mit Applaus belohnt, nicht mal dann, wenn sie aus der eigenen Familie kamen.

„Entschuldigung, die Toilette brauche ich nicht mehr, aber einen Kaffee könnte ich jetzt wirklich vertragen, verdammte Scheiße!“

Anscheinend hatte ich den richtigen Ton oder aber die richtige Tonlage getroffen, jedenfalls beruhigte sich der Raum und in der Wand öffnete sich ein Spalt, durch den ein Wesen auf mich zu trat, das in Form und Farbe dem aus dem Edeka-Markt glich, sich aber in der Art und Weise seiner Artikulation und Höflichkeit deutlich von diesem unterschied.

„Wie hätten Sie denn Ihren Kaffee gern? Wir haben Cappuccino oder Latte macchiato, Espresso und auch stinknormalen Filterkaffee. Der ist grad frisch durchgelaufen.“

„Oh, wie nett, dann nehme ich einen Latte macchiato mit laktosefreier Milch bitte.“

Mit einem peinlich berührten Flüstern fügte ich noch als Entschuldigung hintenan, dass mich eine echte Intoleranz quäle und dieser Sonderwunsch bitte keinesfalls als schnöde Beschäftigungstherapie oder alberne Modeerscheinung zu verstehen sei. Den Flüsternachsatz garnierte ich zudem mit einem huldvollen Lächeln. Das Wesen starrte mich an, zog eine nicht vorhandene Augenbraue hoch und antwortete – nach meinem Empfinden ein wenig zu schnippig und wenig konstruktiv – dass dies ein Scherz gewesen wäre, ob es denn so aussehe, als würde es mir irgendeine Art von erdtypischen Genussmitteln kredenzen wollen. Nun, wenn ich ganz ehrlich sein sollte: Nein.

Einige Minuten standen wir uns schweigend gegenüber, ich in einem Anflug von Nervosität mit einem Fuß wippend, der Fremdling ganz die Ruhe selbst und mich von oben bis unten musternd. Dann stieß er einen scharfen Pfeifton aus. Um die fünf Sekunden später öffneten sich verschiedene Schlitze in dem Nichtraum, aus denen ebenso verschiedene Wesen traten. Sie bildeten einen Kreis um mich, der sich enger und enger um meine Person zog, was mir zunehmend unangenehm wurde. Generell hatte ich keine Berührungsängste, war ich doch Schlangestehen mit unfreiwilligem Körperkontakt von der Erde gewohnt, aber das wurde dann doch etwas sehr nah. Mein Intimbereich und mein empfindlicher Geruchssinn fühlten sich deutlich bedrängt. Peng, noch in dem Moment, als ich dachte, einer von denen würde besonders streng riechen, wurde mir schwummrig im hungrigen Magen und grün vor Augen. Die nachfolgenden Szenen kann ich darum nur bruchstückhaft rekonstruiert wiedergeben, was definitiv keine Ausrede sein soll dafür, dass mir gerade nichts besseres einfällt, um dem Text ein wenig mehr Würze zu verpassen.

Ich stürzte… wurde getragen… wurde aufgebahrt, entkleidet, an den Haaren gezogen… an mir wurde geleckt, gerochen, ich wurde befingert, gefingert und womöglich gefickt… Stille… grelles Neonlicht… Grelle Stimme.

„Hey! Halloooooo. Würden Sie so nett sein und aufstehen. Ich bin schließlich alt!“

Ein kräftiges Ruckeln dazu weckte mich. In den Händen hielt ich einen Pappbecher mit kaltem Kaffee, halb leer. Unklar war mir in diesem Moment, ob ich die andere Hälfte bereits getrunken hatte oder ob die farblich undefinierbare Pfütze unter mir… Gedankensprung bitte. Mein Blick schweifte weiter zu den schuppigen Füßen, die halb in der Pfütze standen, wanderte träge aufwärts, traf ein Gesicht. Neben mir stand eine ältere, kleine Dame. Sie ruckelte penetrant an meiner Schulter und deutete mit dem übertriebenen Kinn ebenso übertrieben auffordernd in meine Richtung. Benommen und noch immer den Kaffeebecher umklammern stand ich auf. Die kleine Person setzte sich, sah vergnügt aus dem Fenster und murmelte. „Es ist schwer, im Omnibus einen guten Platz zu bekommen.“

Der tiefe Fall in den Qahwa

schreibchenweise

Dieser eine Morgen reit sich an die vergangene Nacht. Weitere Nächte werden folgen, kein weiterer Tag. Der hatte genug. Der ist vergangen. Verbittert. Da stehe ich nun, direkt am Rand. Wärme steigt zu mir hinauf, Bohnendunst. Er vernebelt meinen Blick in die Ferne. Aus der Tiefe flüstert es feucht, heiß und dunkel. Spring!

In wenigen Minuten werde ich mich in die schwarzen Fluten stürzen, werde in psychotroper Verzweiflung baden. Meine Würde wird sich verbrühen, während ich mit den Armen rudernd in das Königreich Kaffa tauche. Meine Lungen füllen sich mit Niacin, strampeln, implodieren, schwimmen zu Tausenden davon. Sucht schreit mir entgegen. Trink!

Dann fließt Excelsa durch meine Adern, giert nach Wegen, um in meine Leber zu flüchten. Ein kleines Stück ist noch da, den größten Teil musste ich verkaufen. Harte Zeiten, Wirtschaftskrise. Manchmal muss man Opfer bringen. Wer braucht schon eine ganze Leber, wenn er ein halbes Königreich besitzen kann, einen halben Fluss mit Ufern voller Plantagen, ein halbes Leben. Atme!

Die Narbe am Bauch stichelt und quängelt, erinnert mich an den Verlust des Lobus dexter, erinnert mich an Spritzen, an das Skalpell, an Scheren und Klammern, an rotgetränkte Tücher und flinke Hände im Hinterhof, an gedimmtes Licht von oben, an Nässe von unten, an dumpfe Schritte hinter Morphinwolken und an den Geruch von Euphorie. Vergiss!

Ich springe vom Rand meines Kaffeebechers, falle, schwimme, trinke aus dem Fluss Qahwa, atme Staub gemahlener Bohnen und vergesse mich. Dann versinke ich im schwarzen Sud aus roten Früchten und gebrannten Gedanken…

Kaffee made by Katze

Indonesia & Malaysia

Eine erlesene Köstlichkeit und eine teure Spezialität Indonesiens ist der Kopi Luwak, der Katzenkaffee. Eine auf Java beheimatete Schleichkatzenart frisst die fleischigen Kaffeekirschen und kackt deren Kerne, die Kaffeebohnen, fermentiert wieder aus. Die recht unansehnlichen Katzen-Kaffee-Ködel werden in mühevoller Handarbeit verlesen, von Kotresten befreit, gereinigt, geröstet und…  zu einem schmackhaften, aromatisch-würzigen Kaffee aufgegossen.

Aus ästhetischen Gründen habe ich mal nur die gereinigten Kaffeebohnen abgebildet.

Und hier ist das Schmusetier, das den angeblich besten und mit Sicherheit teuersten Kaffee der Welt in seinem Inneren und durch seinen Arsch produziert. Glücklich sehen die in Gefangenschaft lebenden Musang luwaks nicht gerade aus, werden sie hinter Gittern doch nicht sehr alt.

Der Grund: Sie sterben an Mangelerscheinungen, da sie wegen gestiegener Nachfrage kaffeedurstiger Menschen fast ausschließlich mit Kaffeekirschen gefüttert werden um mehr zu kacken, als sie müssten. In freier Wildbahn stehen bei den Allesfressern auch Würmer, Insekten, Nüsse oder Vogeleier auf dem Speiseplan.