Eine Frau sortiert ihr Leben
Nicht im Kopf, in ihrer Tasche eben
Eine cremt die rauen Hände
Ihr Kind leckt Wände
Ein Hund muss pissen
Ich seh’s ihm an und will’s nicht wissen
Zwei Mädels sind am Schminken
Gegenüber, die Männer stinken
Um Sitze wird gestritten
Eine Frau zeigt ihre Titten
Ein Mann wird laut „Was will die Braut?“
Ein anderer lacht
Kommt aus der Nacht
Geht in den Tag mit seinem Kater
Gesicht ganz blass, ganz roh, ganz Krater
Die U-Bahn hält
Der Hund, der bellt
Das Kind will raus, die Mutter nicht
Kind zieht Schnute, Mutter spricht
Zu laut, zu grob, zu unsensibel
Ich schaue raus, seh Häusergiebel
Fenster, Bäume und Balkone
Ein Mann, der raucht – mit oben ohne
Auf einem hängt Wäsche, nicht schön, nur nass
Neben mir der Mann wird blass
Torkelt, kippt, fällt auf den Boden
Aus seiner Hose quillt ein Hoden
Ich dreh mich um, will weg, muss raus
Ziehe meine Schuhe aus
Hüpfe singend durch die Bahn
Die Augen weit vom U-Bahn-Wahn
Im Ohr ein Klingen, schrill und fein
Jetzt hüpfe ich auf einem Bein
Man macht mir Platz, man lässt mich ziehen
Ich kann dem Wahnsinn hier entfliehen
Breite meine Flügel aus und springe…
… um morgen wieder hier zu sein – das ist der Lauf der Dinge
u-bahn
Es war nett, mit Ihnen zu plaudern
schreibchenweiseEntschuldigung, ist hier noch frei? Danke. Wissen Sie, ich kannte mal einen, der war Ihrem hier sehr ähnlich. Ich erinnere mich noch, wie er da saß, der Herr Kowalski, etwas umständlich zwar, auf einer Arschbacke nur, die Eier eingeklemmt auf kaltem Unterboden, doch das war nicht sein eigentliches Problem, denn es goss in Strömen, und Herr Kowalski mochte keinen Regen. Um ihn herum bildete sich bereits eine dunkelbunte Pfütze, die er steif und fest zu ignorieren schien ohne eine Mine zu verziehen, und obwohl die Pfütze sich immer weiter ausdehnte und auch an Tiefe gewann, tat er tat keinen einzigen Schritt, weder vorwärts noch rückwärts, weder aus der Pfütze heraus noch um sie herum noch in sonst eine Richtung. Und so wurde er nass und nässer. Gummistiefel wären definitiv von Vorteil gewesen, doch die besaß Herr Kowalski nicht. Auch keinen Schirm. Nicht einmal einen wasserfesten Hut. Der hätte an ihm auch recht albern ausgesehen, ähnlich albern wie Gummistiefel, obwohl es die in wunderschönen und Herrn Kowalskis Äußeres aufgreifenden Farben gab, mit und ohne Musterung, mit verschiedenen Schafthöhen und unterschiedlicher Besohlung. Ich selber trage abwechselnd zwei Paar schöner Gummistiefel. Die einen haben Streifen und changieren von lichtem Grün zu pudrigem Rosé. Das andere Paar, mit einem nicht ganz so hohen Stiefelschaft ausgestattet und daher für weniger starke Regentage mit niedrigerem Pfützenstand sehr gut geeignet, besitzt Flecken in der Form und Farbe, wie sie Leoparden auf ihrem Fell zur Schau stellen. Das passt, denn das Fell von Leoparden und artverwandten Raubkatzen ist sehr gut imprägniert und dadurch ein sehr guter Schutz gegen die raue Natur, zu der auch Regengüsse zählen – genau wie meine raubkatzengemusterten Gummistiefel. Ich hatte mal einen Kater, der muss in seinem Familienstammbaum auch einen echten Wildfang gehabt haben, denn dieser Kater – ich nannte ihn Tüte, weil er kurz nachdem ich ihn abgemagert und ausgemergelt aus einem Feuer gerettet hatte, ihn mit Schlagsahne und Eigelb aufgepeppelt und ihm mit Brandsalbe die offenen Pfoten versorgt hatte, als erstes vor Angst in eine herumliegende Plastiktüte flüchtete – trug in seinem Fell ebenfalls dieses raubtierähnliche Fleckenmuster, das unseren überzüchteten Stubentigern über die Jahre der Domestizierung irgendwie abhanden gekommen zu seien scheint und einem reinen Streifenkleid gewichen ist. Tüte hatte beides, wilde Flecken und domestizierte Streifen. Genau wie meine Gummistiefel. Also wenn ich einen rechten von dem einen Paar und einen linken des anderen anziehen würde, könnte man mir eine gewisse Ähnlichkeit mit Tüte nachsagen. Was ich natürlich nicht tat und auch zukünftig nicht vorhatte, also das Tragen zweierlei verschiedenfarbiger Gummistiefel an unterschiedlichen Füßen. Es sei denn, ich verlöre den einen der Streifenstiefel oder den anderen der gefleckten. Aber warum sollte ich. Ich trage entweder die gestreiften oder die gefleckten. Punkt. Es ist ja nicht so, dass ich keine Wahl hätte, so wie Tüte. Der hatte keine Wahl, weder bei der Färbung und Beschaffenheit seines Beinkleides noch bei der Wahl seines Retters. Dabei hatte er ausgesprochenes Glück, an mich geraten zu sein. Es hätte ihn auch richtig schlimm treffen können. Er hätte ganz und gar verbrennen können und nicht nur fast, oder ein anderer Mensch, ein weniger tierlieber, als ich es war, hätte ihm einfach eins mit dem Spaten über den verqualmten Kopf mit den verbrannten Schnurrhaaren ziehen können, statt seinem Wimmern zu folgen und ihn zwischen glühenden Restwurzeln und dampfendem Dreck hervorzufischen. Ich hingegen, ich nahm mich seiner an, ohne auch nur eine Minute zu zögern. Obwohl ich keine Gummistiefel trug an diesem Tag. Es regnete ja auch nicht. Hätte es geregnet, dann wäre womöglich gar kein Feuer ausgebrochen, in das der arme Kater, das kleine Häufchen Elend, geraten wäre. Oder der Regen hätte das Feuer rechtzeitig gelöscht noch bevor das Tierchen halb darin verkohlt wäre. Aber es regnete nicht. Darum trug ich auch keine Regen abweisenden Schuhe. Als ich Tüte fand, kleideten mich Sandalen. Ich kann wunderbar Sandalen tragen, denn ich habe schöne Füße. Eine Sandale setzt einen schönen Fuß voraus, zwei Sandalen natürlich auch entsprechend zwei schöne Füße, auch wenn nicht viele in diesem Land meine Meinung dazu zu teilen scheinen, geht man nach der Wahl ihrer Beschuhung in Bezug auf die Beschaffenheit ihrer Füße, da sich diese nicht selten in einem recht unordentlichen Zustand befinden und sie selbige dann auch gerne in noch unschönere Sandalen stecken. Unschöne Füße in unschönen Sandalen gehören verboten. Auch unschöne Füße in schönen Sandalen. Für unschöne Füße sind Gummistiefel die bessere Alternative zu Sandalen, egal, ob schön oder nicht. Auch bei nicht vorhandenem Regen. In diesem Fall schützen sie den Träger nicht vor Nässe sondern die Mitmenschen vor einem unästhetischen Anblick. Ich fände es manchmal ganz angenehm, wenn wir uns alle mehr um das Wohl unserer Mitmenschen sorgten. Nicht, dass ich jetzt meinem Nachbarn, der im Übrigen über ein sehr unschönes Paar Füße verfügt, die ich einmal die Woche unfreiwillig zu Gesicht bekomme, da er es sich zur Angewohnheit gemacht hat, seine überaus sprießfreudigen Zehennägel im gemeinsam genutzten Hausflur zu beschneiden, und zwar immer genau dann, wenn ich morgens mit noch leerem Magen meine Wohnung verlasse, um zur U-Bahn zu eilen, ständig meine Gutmenschattitüde aufdrücken müsste. Aber ab und an sorge ich für ihn, indem ich ihm ein bis zwei Flaschen Bier mitbringe oder, wie erst kürzlich, ihm einen nagelneuen Fußabtreter vor die Tür lege, nachdem er meinen mehrfach malträtiert und damit etwas überstrapaziert hatte und sich mittlerweile ein kleiner Berg Schmutz unter meinem Abtreter anzusammeln begann, der nicht allein von mir stammen konnte. Ein Schmutzberg, der jeden Mittwochmorgen von unserer nicht ganz billigen Hausputzmannschaft gewissenhaft umreinigt wurde. Wenigstens entfernten sie die abgetrennten Fußnägel meines Nachbarn von den Treppenstufen. Dafür war ich jede Woche überaus dankbar und zahle gern die allmonatliche Erhöhung der Nebenkosten, Posten für Hausreinigung. Manchmal frisst auch die Katze von Gegenüber die Nägelreste noch vor dem Reinigungstrupp. Katzen und Hunde mögen abgestorbenes Gewebe, das weiß ich, denn der Hund meiner Cousine – der leider erst vor kurzem verstarb und Herr Kowalski hieß, was ein recht ungewöhnlicher Name für einen Hund ist, aber weil er auch ein recht ungewöhnlicher Hund war, passte der Name dann doch irgendwie – der liebte es, wenn man sich die Fingernägel feilte. Dann legte er einem seinen riesigen Kopf mit den Langen braunen Schlappohren auf die Knie, und mit stechendem Blick hypnotisierte er die Nagelfeile solange, bis man das Schmirgeln unterbrach, innehielt und ihm die Feile vor die Nase hielt. Etwas unappetitlich anmutend und für mich als Mensch auch in keiner Weise nachvollziehbar, beschnüffelte Herr Kowalski erst genussvoll das Feilwerkzeug um es dann in ganzer Ausgiebigkeit abzulecken. Das und Pansen mochte Herr Kowalski. Aber er mochte nicht im Regen gehen. So, hier muss ich raus, es war nett, mit Ihnen zu plaudern.