Liebe blüht auf unterschiedliche Art. Ihre Farben nuancieren von tiefem Burgunder über leuchtendes Karmesin bis zu pudrigem Blass. Immer jedoch duftet sie atemberaubend.
Sie wirkte so zart, so weiß und so unschuldig. Ihre Hände schienen wie geschaffen, um durch weiches Katzenfell zu streunen, im Vorbeigehen wippende Köpfe langhalsiger Gräser zu liebkosen, sanft über einen aufgeregten Mund zu streichen. Jetzt ruhten sie sauber gefaltet, schwebten über ihrer kalten Scham auf schwarzem Seidenlaub.
Er weinte, als er sie so betrachtete. Nicht um sie. Nicht um ihre Jugend. Nicht um ihren Tod und dessen Unendlichkeit. Er weinte um sich selbst, weil er sie nie würde lieben dürfen. Er hatte sie nackt gehalten, sie sorgfältig gewaschen, sie getrocknet, gecremt und ihr den Tod aus den steifen Gliedern massiert. Er hatte all ihre kleinen Schlupflöcher mit Watte versiegelt, damit nichts von ihrem Inneren verloren ginge. Er hatte ihr das Haar geföhnt und in sanften Wellen um das blasse Antlitz gestaltet. Ihren Lippen hatte er ein wenig Leben aufgehaucht – nicht mit einem Kuss. Das wagte er nicht. Um ihren Hals hatte er ihre silbergliedrige Schlinge gelegt, auf ihrem Herzen schlief nun ein Aquamarin, blassblau, wie ihre Augen hinter den durchschimmernden Lidern. Auf ihre Schläfen hatte er zwei Tropfen Cacharel geatmet. Sie vertrieben die letzte Aufdringlichkeit des Desinfektionsmittels und verströmten einen Hauch aus Frühlingssonne und Heuboden. Dann hatte er ihr ins Kleid geholfen, hatte sie weich gebettet in ihrem hölzernen Setzkasten, hatte ihr Haar erneut gerichtet, ihre Nägel poliert und ihre Hände gefaltet.
Zwei Tage später flüsterte jemand in der Kapelle, sie sähe aus, als würde sie blühen.