Das Schlüsselloch im Kopf

schreibchenweise

Noch ist Sommer. Das Sommerloch klafft. Dreht man sich elfdreiviertel Mal im Kreis, ist Herbst, und die Blätter fallen, das Zellsterben beginnt und Chlorophyll wird knapp. Männer mit Hackebeilchen schänden den Wald.

Verdammte Axt, Sie haben da ein Loch im Kopf, ein… Schlüsselloch!

Darum also der Schmerz, das Blut, die kalte Briese im Hirn.

Tut das nicht weh?

Nein, es zieht nur ein wenig. Aber das bin ich gewohnt, lüge ich.

Wie ein Vögelchen hucke ich auf dem Giebelgesims meines Hauses. Sitzen kann ich nicht mehr, der Hintern wurde mir spitz und wund und lahm. Drei Tage können eine lange Zeit sein. Drei Tage Durchzug. Drei Tage Gedankenflucht. Drei Tage Hirnpfiff.

Und, werden Sie es stopfen?

Hab ich versucht, hat nicht gehalten. Erst mit heißem Wachs und einer roten Lunte… Der Fuchs tut mir noch immer leid, jetzt rennt er schwanzlos durch die Wälder. Dann auch mit Stroh. Rum. Rein. Rüber. Einen Schluck für den Magen, drei für den Kopf. Es floss aber gleich wieder heraus und brannte arg. Vielleicht versuch ich’s mal mit Rosinen.

Ich bin ja eigentlich kein Voyeur, aber dürfte ich mal durchschauen?

Nur zu. Schauen Sie durch mich hindurch. Drinnen werden Sie nichts finden, da ist es dunkel. Manchmal, wenn sich die Augen nach einigen Minuten starren ein wenig an das Schwarz gewöhnt haben, dann flimmert die Iris Bilder hervor. Es wäre mir aber lieb, wenn Sie mir vorher eine Freistellung unterzeichnen würden, sicher ist sicher.

Eine Freistellung, wofür?

Damit ich mich absichern kann. Was weiß denn ich, was Ihre Iris dem Gehirn in Ihrem Kopf vorgaukelt und ob Sie das verkraften. Nachher verklagen Sie mich, weil Sie glauben, in meiner Dunkelkammer Schemen einer Unzucht mit Minderwertigen gesehen zu haben oder bezichtigen mich des Hirnterrorismus’.

Ja, ja. Ich unterzeichne, was immer Sie wollen. Geben Sie das Blatt schon her!

Wissen Sie eigentlich, wie viele Blätter ein Baum hat? Das lässt sich ganz einfach berechnen. 3S = 3(4*8)m^2 ugf. 100 m^2 = 1.000.000 cm^2 B ugf. 4×5 cm^2 = 20 cm^2. Das Ergebnis wäre dann N=S/B=50.000. Erscheint einem doch recht beachtlich, für einen einzelnen Baum mittlerer Größe, oder?

Vermutlich. Hätten Sie womöglich einen Stift? Meinen verlor ich kürzlich, er fiel in einen Brotteig. Ich hoffe, er richtet keinen weiteren Schaden an.

Da habe ich wohl Glück. Ich esse keine Backwaren. Aber ich kaue gern auf Nelken, das beruhigt das Zahnfleisch. Früher kaute ich auf Stiften, das beruhigte mich. Die Tinte auf der Zunge wiederum beunruhigte meine Mutter. Sie war immer schon besonders besorgt um mich, hatte Angst, ich würde mich vergiften.

Lebt Ihre Mutter noch?

Ja. In einem Tintenfass.

Dann schlafen mir die Beine ein vom vielen Reden und der kalte Abendwind bläst nass durch meinen Kopf. Ich stopfe einen alten Korken in das Schlüsselloch, springe vom Gesims und fliege gen Süden.